Mittwoch, 4. Januar 2012

Wenn der Manne mit dem Weib -Galgentrips in Einkaufshöllen

Dresden, Prager Straße. Ich sitze bei Starbucks, warte auf meinen Kaffee und japse nach Luft. Nach gefühlten acht Stunden Kauf- Expedition ins Reich der Düfte und Gerüche, dicht gedrängt von duftenden und riechenden Vertretern des Homo Sapiens dreht sich nicht nur der nasal empfangende Sinn um sich selbst, sondern auch Kopf und Magen. Die Ohren sausen noch.
Was gibt es Schlimmeres für einen Mann, als das Versprechen abzugeben, mit der Holden Einkaufen zu gehen? Die Tatsache, dieses Versprechen einlösen zu müssen!
Abgesehen von den Tagen zwischen dem hochheilig abgegeben Versprechen und dem Zeitpunkt der Pflichterfüllung. Ängstlich zitternd und der Panikattacke nahe immer dann, wenn die werte Dame des Begehrs lächelnd den Raum betritt, man(n) mit ehrfürchtigem, aber unauffälligen Blick auf die Uhr im Bruchteil von Sekunden die Möglichkeiten ausrechnet, ob jetzt Tag X gekommen sein könnte, indem sie zum Sturm auf die Passagen bläst, lebt es sich wie auf Kohlen. Jedes freundlich gesprochene Wort, jeder liebreizende Blick in den Vor- und Nachmittagsstunden kann den Gau bedeuten und einerseits wartet man(n) darauf, dass es nun endlich passiert, damit die Zeit des Siechtums endlich ein Ende hat, andererseits jedoch schickt er Stoßgebete in alle Himmel, dass nicht ausgerechnet heute der Trip zum Schafott dem unterdrückten Frohsinn des Seins ein jähes Ende bereitet.

Mein Blick aus dem großen Panoramafenster des amerikanischen Kaffeehauses offeriert erinnernd die Vergangenen "Stunden". Dort prangt in großen, grünen Lettern der Name der Vorhölle: Douglas! Und als sei dem nicht genug, direkt nebenan, so, dass der männliche Delinquent seiner gerechten Strafe für alle Sünden die er je in seinem jämmerlichen Leben begangen hat, auch tatsächlich Buße tun kann: Lush!
Schon von weitem wird hier das Geruchserlebnis zur bösen Vorahnung, was gleich zu erwarten ist.
Wieder und wieder atme ich tief ein (auch, wenn es unschön ist) und wieder aus, um das Geruchschaos endlich aus meiner Nase zu bekommen.

Ich kann nicht sagen, dass ich mich nicht an warnende Erzählungen von Freunden, an Unkenrufe aus Funk und Fernsehen erinnerte, noch während ich meine Zusage erteilte, mich dem Einkaufswahnsinn anheim zu geben, doch es war zu spät, der Satz war gesprochen gleich einem Urteil, schlimmste Folter versprechend. Richter und Henker in einer Person.
Und so also kam der Tag, an dem ich reuen sollte, mit dem heutigen Erwachen. Strahlend und voller Vorfreude wurde ich von der Gattin in spe geweckt, und noch vor Kaffee und Morgenzigarette auf das Schlimm des heutigen Tages vorbereitet. Das "guten Morgen" des Satzes ging mit der Drohung unter, die mir verhieß: heute also ist es soweit. Wir werden in der Dresdener Innenstadt die Zeit unseres Zwangsaufenthaltes, zwischen Zug von Görlitz und Zug nach Leipzig nutzen, Gutscheine und Einkaufswut gegen Sachwert und Erschöpfung eintauschen.
Der Galgenfrist letzte Minuten sind also angebrochen. Das Frühstück mein Gnadenbrot und schweres Sitzen im Zug. Täusche ich mich, oder spricht die höhnische Stimme, die den Dresdner Hauptbahnhof ankündigt mit leichtem Echo und... war da nicht ein freches Lachen? Und wieso scheint die Sonne an diesem eigentlich angekündigten grau verregneten Wintertag so ironisch auf mich herab?

Wir gehen durch die Fußgängerzone. Sie hält meine Hand, wie der Pfaffe, der den letzten Weg bereitet. Ich warte auf die Frage: "Hast du noch etwas zu sagen?"
Da vorn. Noch fünfzig Meter, dort wartet die Guillotine. Zunächst erkenne ich nur den markanten Schriftzug und die diabolische Farbe. Zwanzig Meter. "Douglas" hämmert sich in meine Augen, meinen Kopf, der Fluchtinstinkt macht sich bemerkbar, aber ein Zurück gibt es nicht. Zehn Meter, der Hals schnürt sich allmählich zu, der Mund wird zunehmend trockener. Fünf Meter, alle Sinne fahren sich auf die nötigsten lebenserhaltenden Funktionen herunter. Drei Meter, Tunnelblick stellt sich ein.
Die Schwelle, das Grauen... oh Gevatter Tod, nimm schnell die Hand und bring mich fort!

Wir betreten also den Tempel des Grauens und ich stelle fest: Zwei Etagen. Der Kapitulation nahe denke ich "auch das noch" und füge mich endgültig meinem Schicksal. Mit einer halben Stunde habe ich gerechnet. Das verdoppelt sich nun, denn von zwei Etagen wusste ich nichts.
Doch zu meiner Überraschung ignoriert die Gute jene erste Etage und steuert, offensichtlich ein Ziel vor Augen, direkt die Rolltreppe in Richtung Unterwelt an. Ein Geruchsexplosion erwartet mich die, je tiefer uns die Fahrstufen in den Orkus bringen, immer intensiver wird. Tausend und Abertausende kleiner Fläschchen und Schächtelchen, Ampullen und Röhrchen zieren die Regale, so bunt, wie eine Spielzeugabteilung für Kinder bis sechs Jahre und so voll, als braucht halb Dresden ausgerechnet heute neues Parfum.
Dumm dreinschauend wie wohl jeder pantoffelheldenhafte Liebhaber folge ich der Wolke von fester Entschlossenheit, hier nicht mit leeren Händen raus zu gehen. Meine jetzt schon müden Augen bahnen sich einen taktischen Weg durch das Chaos und noch bevor ich feststellen soll, dass sie das zu Unnütz tun, weil Frau eher den Gesetzen des Instinktes, als denen der Taktik folgt, entdecke ich Interessantes im Gewühl der Möchtegernnoblesse. Vier halbwüchsige Wesen der männlichen Gattung stehen in der so genannten "Herrenabteilung", die doch besser bezeichnet wäre mit "Sie kauft für ihn", und probieren dieses Pröbchen und jenes Düftlein. Mein anfänglich mitleidender Gedanke, die Armen hätten sich verirrt und streunen nun mutterlos durch diese Trostlosigkeit der von Feministinnen ersonnenen Hölle, auf der Suche nach einem Ausgang, springt schnell auf Verwunderung und Unverständnis.
Gekleidet in feinsten Kioskzwirn -will sagen: graue und blaue Jogginhosen, Kapuzenshirt, Baseballjacke und das Haupt gekrönt von viel zu großen Basecaps, die man mit dem Schild zur Seite trägt- tauschen die Vier nun also Fläschchen, Streifchen und Kaffeebehältnis zu Neutralisierung des verhunzten Geruchsinnes, um zu fachsimpeln und sich am Ende für das ein oder andere Parfüm zu entscheiden, als würden sie den ganzen Tag nichts andres machen. Nicht älter vierzehn Jahre, keine Haare am Sack und das Wort Ficken mit doppel "g" schreiben, aber teuere Düfte kaufen als seien sie DIE Männer von Welt. Insgeheim warte ich von nun ab auf das schrillende Geräusch der Magnetpassage am Ausgang, die jeden Diebstahl anzeigt und den Täter blamiert.

Ich folge weiter trottelig meiner Liebsten, die mir mit mitleidigem Blick zu sagen versucht: "Ich beeile mich" und freue mich, ob ihrer Erkenntnis, dass es mir hier unten alles andere als gut geht, gebe hier mein Urteil ab, sage da "das könnte passen" und erblicke drei junge Damen, die man eher noch als Mädchen bezeichnen kann, was ich allerdings allein an den noch kindlichen Augen herausfinde. Ich schätze sie auf dreizehn bis vierzehn Jahre, obschon man das heutzutage ja kaum noch treffend tun kann. Zugekleistert bis zur Unkenntlichkeit mit Schminke aller Art suchen sie ihr Alter zu vertuschen, damit sie alsbald in der Umkleidekabine vorm Sportunterricht von der letzten wochendlichen Rammelei berichten, anschließend die Schule schmeißen können und sich mütterlich der staatlich finanziellen Zuwendung erfreuen können.
Allein die gleichmäßigen, und nicht ferngesteuert wirkenden Bewegungen verraten, dass es sich hier um menschliche Wesen und nicht etwa Marionetten mit Porzellanpuppengesicht aus einem schlechten Horrorfilm handelt.
Eine dieser drei wie wilde Hühner schnatternden Möchtegernexpertinnen allerdings tut mir fast schon ein bisschen leid. Ich denke, sie ist das Alibipüppchen, das wohl in jeder derartigen Clique zu finden ist. Eine gibt es immer, die abgrundtief hässlich ist oder die Figur eines Vorderalpenmassives hat, damit der Rest der Weiberschar, auch nicht wirklich besser aussehend, zumindest einen Funken mehr Chancen bei der begrenzten Auswahl männlicher Pendants hat.
Eine dermaßen fette Wuchtbrumme wie dieses vor mir stehende Geschoß allerdings, habe ich selten gesehen. In so jungen Jahren schon so ein Koloss zu sein bringt automatisch den festen Willen mit sich, die Eltern wegen Körperverletzung und Lebensversauung zu verklagen. Ich bin geneigt, mich ihr zuzuwenden mit der maßregelnden Empfehlung "Du brauchst kein Deo, meine Gute, du brauchst einen Sportlehrer!" unterlasse es jedoch, ob meines Anstandes und gebe mich wieder meinem Weibe hin, das justament einen Geruch für sich entdeckt und ohne weitere Umschweife in das kleine Körbchen packt. Zwei kurze Stops noch auf dem Weg zur Kasse, und ich bin fürs erste erlöst. Sie zahlt, nimmt mich an der Hand und führt mich, dem Wahnsinn nahe, über die Rolltreppe nach draußen. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass wir wirklich gar nicht all zu lange in diesem "Laden" verbrachten, sie ihr Versprechen, sich zu beeilen tatsächlich eingehalten hat, doch es wartet ja noch Lush auf mich.
Allerdings stellt sich heraus, dass in diesem Hippietempel mit überfreundlich grinsendem Verkaufspersonal nichts Gewolltes angepriesen wird und wir sind schneller aus dem Schuppen, als wir drin waren.

Starbucks. Sprichwörtliche Atempause. Inzwischen ist mein Kaffee kalt und ohne es zu wollen habe ich mich revanchiert, indem ich dies verfasse während die Holde sich, mir gegenüber sitzend, langweilt. Das schlechte Gewissen, das sie vorhin hatte, habe nun ich, aber es musste raus, was gesagt sein soll, bevor es sich im Strudel des bewussten Verdrängens verliert.
Nun steht noch TK Maxx an. Menschen, die sich ohne Rücksicht auf Verluste gegenseitig die Füße kaputt trampeln auf der Jagd nach Billigem. Menschen, die enge Gänge verstopfen und definitiv nicht vorher bei Douglas waren. Menschen, die in der Enge jener Gänge dünsten, schimpfen, Vordermann und Vorderfrau achtlos an Artikeln vorbeischieben, die eventuell interessant gewesen wären. Menschen, die wie die Geier um Kleiderständer, Regale und Warenkästen glucken, wühlen und zerren, giftig blicken und sabbernd auch noch das letzte Schnäppchen dem Anderen wegzerren, dabei höhnisch grinsen und weiterziehen. Menschen, die auch noch die billigste Ware an der Kasse versuchen, billiger zu feilschen. Menschen, die hoffentlich irgendwann einmal begreifen, dass sie Menschen sind...

Zurück am Bahnhof gibt sich das Zittern. Inzwischen sind Gerüche aus der Nase vertrieben, ist der Angstschweiß verdunstet und ich spüre meinen Magen wieder. Liebevoll kann ich nun meine Frau umarmen, stolz auf mich sein, ohne großes Murren diese Hölle überlebt zu haben. Stolz auf sie sein, dass sie weniger eine dieser Frauen ist, die allein in einem Laden so lange brauchen, wie wir in allen drein. Stolz auf uns beide, dass nicht Schimpf und Zank uns begleiteten, was ja nicht selten der Fall beim Pärcheneinkaufsbummelwahnsinn ist und natürlich erleichtert, froh darüber, unbeschadet diesen Nachmittag überstanden zu haben. So schleppe ich gern die Beutebeutel von Burger King zu Bahnsteig, durch überfüllte Abteile im Zug bis zu einem freien Platz, widme mich einem Buch und nehme mir vor, schnell zu vergessen, aber so schnell dennoch nicht wieder ein solches Versprechen abzugeben.

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