Sonntag, 16. Januar 2011

Nachtleben

Mal nicht ganz so kolumnistisch... aber es muss ja nicht immer das satirische Wort sein:

Keine Lust ins Bett zu gehen. Kennst du das? Du sitzt vor deinem Rechner, checkst mal hier und mal die Neuigkeiten, ziehst dir einen mittelmäßigen Film rein, schmierst dich durch die unzähligen, dafür eigentlich viel zu unwichtigen Plattformen, Foren und Communities, auf denen du, warum auch immer, angemeldet bist und überlegst dabei, ob all der Scheiß eigentlich einen Sinn hat.
Angemeldet hast du dich, weil du Leute suchst, dich und deine Machwerke in Bild, Ton und/ oder Schrift bekannter machen willst und am Ende sind es doch immer dieselben Gesichter, die vor den selben Personen prangen, hier, im virtuellen Leben.
Wie kann man auch auf die Idee kommen, eine Freundschafft entwickle sich im world wide web?
Ist es wirklich schon so weit, dass selbst die ärgsten Ablehner dieser Methode, an Menschen heranzutreten, doch irgendwann den Sprung in diesen Pool machen? Und springen sie wirklich freiwillig? Oder werden sie eher gestoßen? Hinein geschuppt, von der harten Hand der Realität? Und von welcher Realität reden wir überhaupt? Wovon reden wir, wenn wir diesen Begriff benutzen? Von der Parallelwelt Internet? Ist das eine Realität?

"Da hat dich einer "gekruschelt" - heißt es, bei der hier zulande wohl bekanntesten Community "VZ".
Gekruschelt... was für ein dämliches Wort.
Und? Hast du's gemerkt? Hast du die Berührung gespürt, als du gekruschelt wurdest? Kann das Realität sein? Finden Liebe, Sex, Wut und Schlägereien in nicht allzu ferner Zukunft auch auf diese Weise statt?
Letzteres würde der Welt gut tun. Jedem Einzelnen von uns wäre das eine Bereicherung. Ersteres aber macht diesen Fortschritt gleich wieder zunichte. Oder doch nicht?
Wäre dann, wenn diese beiden Befürchtungen Wahrheit würden, alles auf dem Wege der Befriedung des Menschen?
Jeder sitzt dann nur noch zu Haus, in seiner Kammer, seinem Zimmer, seinem Loft oder wo auch immer, an seinem Rechner und lebt sich virtuell. Die Straßen würden leer werden und grün. Ein System würde zusammenbrechen und bald schreckt der Kollaps alle aus ihrer Lethargie, die real ist, fühlbar, erlebbar. Und dann bersten Welten, millionenfach. Kleine, mühsam zusammengeklickte, und durch stete Wachheit aufrechterhaltene, individuelle Welten. Und dann ist Amok. Kollektiver aber gerechter Amok. Keine Befriedung. Nur noch extatische Gewalt.

Keine Lust, ins Bett zu gehen.
"Noch einen Kaffee der Herr?"
Ich stehe neben mir und rede mit dem, der gerade die Buchstaben tippend zu Worten knüpft, zu Sätzen, die den beschreiben, der neben mir steht... und sitzt...
"Ja,... noch einen Kaffee!"
Ich raffe mich auf, greife zu den Krücken, humpele zur Kaffeemaschine um dir leere Kanne an den kleinen Finger der rechten Hand zu hängen. Die anderen umfassen der Griff der Gehhilfe. Trunken vom Alleinsein, von der in Schüben immer wieder überspielten Müdigkeit taumele ich zum Wasserhahn, fülle die Kanne, klemme sie zwischen den kleinen und den Mittelfinger, die anderen umfassen den Griff der Gehhilfe.
Zurück zur Kaffeemaschine. Die steht schon gegenüber dem Schreibtisch. Wäre auf ihm noch Platz, stünde sie hier. Aber der ist schon zu voll.
"Mach schon, ich will meinen Kaffee"
-höre ich mich sagen, während ich weiter Worte formuliere, die wahrscheinlich so unbedeutend sind, wie die Existenz dessen, der sie verfasst.
Eigentlich sollte ich keinen Kaffee trinken. Sagt der Arzt. Jedes Gift, das ich meinem Körper zuführe, sagt er, verlängert nur den Heilungsprozess der Entzündung an meinem Fuß, die mich zur Zeit an die Stöcke fesselt.
Aber was solls. Wenn schon kein Alkohol, dann wenigstens Kaffee und die verdammten Zigaretten.
Endlich. Ein Schluck, und mir wird wieder warm. Ich ziehe den Pullover aus, schmeiße ihn über die Lehne meines Stuhls und frage mich, worauf ich hiermit überhaupt hinaus will. Doch statt einer Antwort, nur weitere Sätze, die beschreiben, was ich zu hinterfragen versuche.

Warum tut man das? Die Müdigkeit ignorieren. Sich der Faulheit schmierig an den Hals werfen, als ginge es um drei vier Riesen, die man hingeworfen bekommt, wenn man dem fetten, kleinen Wichser im heruntergekommen Anzug nur sagt, was er hören will. Wenn man ihm die Füße küsst, über seine schäbigen Witze lacht und die eine oder andere Drecksarbeit für ihn erledigt.
Ist es wirklich nur das kleine bisschen Leben, das man lebt? Das einst vergessen sein wird, wenn es von dieser Welt verschwindet, irgendwo, in einem namenlosen Grab.
"Die Nacht nicht verschwenden"
-hämmert es in meinem Kopf und ich erinnere mich an einen Dokumentarfilm, den ich neulich nachts gesehen habe. Der Titel fällt mir nicht mehr ein. Es ging um einen Filmemacher, der seine Arbeit auf die Nacht beschränkt, weil er in den dunklen Stunden am produktivsten ist. Er hat sich und sein Leben sozusagen selbst dokumentiert, sich begleitet bei dem Versuch, ein normales Leben zu beginnen, mit Hilfe einer Therapie. Schlafforscher und Psychologen und allerhand andere Wissenschaftler standen ihm dabei zur Seite und am Ende... hmm... hat er es doch nicht geschafft.
Und ich sah so verdammt viele Parallelen zu meinem, kleinen Leben. Nachts werden die Texte am Besten. Auch, wenn ich mir einrede, morgens produktiv zu sein, ist das doch nur eine Lüge. In genau diesem Zustand, in dem ich mich jetzt gerade befinde, zu faul ins Bett zu gehen, oder zu umtriebig, schreibt es sich doch immer noch am besten. Ein Kaffee dazu, ein Bier, das ein oder andere Gläschen Likör. Und die Zigaretten. Diese verdammten Zigaretten.
Aber ich habe ich auch vom anderen Leben gekostet. Von dem, in dem man Geld hat. Ein wenig mehr, als in der alleinigen Existenz eines Möchtegernschriftstellers, den keiner wirklichen lesen will. Und ich habe die Vorzüge genossen und tue es noch. Einfach mal dies, oder das kaufen zu können, ohne überlegen zu müssen. Einfach ins Lokal gehen zu können, oder gar mal eine Frau in ein Restaurant ausführen zu können, ohne vorher zum hundertsten Mal bei den selben Leuten zu klopfen, mit der Frage, ob man sich vieleicht ein bisschen Geld borgen könne. Geld, dass man dann nie wirklich zurückzahlen kann.
All das braucht es nicht, in diesem anderen Leben. Aber dieses andere Leben kostet etwas. Etwas sehr wertvolles. Dieses Leben nämlich kostet Zeit. Wertvolle Zeit. Etwas, das beinahe mehr wiegt als Geld. Zumindest dann, wenn man daran hängt. Wenn man sein kleines, mickriges Leben schätzt und es auskosten will bis zum bitteren Ende. Auskosten, bis zum letzten Atemzug.
Und an dieser Stelle spaltet sich das Ich. Zeit, oder Geld? Geld, oder Zeit? Ins Bett gehen, um morgen fit zu sein, nicht zu verschlafen, die Arbeit nicht zu verreißen, den Boss nicht durch irgendwelche Fehler zu verärgern, oder gar durch Abwesenheit wegen Krankheit den Job zu riskieren?!
Oder auf all das scheißen? Die Drecksarbeit einen Anderen machen zu lassen? Ist sowieso ein Sklaventreiber, dieser Chef. Wie alle Chefs! Einfach im Bett zu bleiben und sich einen runterzuholen, auf die wütende Fresse des Vorgesetzten. Dann aber sind die Fänge des Amtes wieder offen, einem etwas neues, noch beschisseneres aufzudrücken. Einen neuen Chef, neue Scheißkollegen, neue Arbeit oder eben... gar kein Geld.
Da scheiden sich die Geister. Leben? Oder gelebt werden?
Und auch hierauf gibt es nur eine Antwort: Tu es, oder tu es nicht!

Keine Lust ins Bett zu gehen. Kennst du das?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen