Dienstag, 29. Oktober 2013

Willkommen in der Hölle

Ich habe irgendwann aufgehört, die „Maßnahmen“ zu zählen, die ich, auferlegt vom Jobcenter, inzwischen absolviert habe. Absolvieren musste. Arbeitszwang zur Integration in den Arbeitszwang. Die große Feile der staatlichen Verschönerung des Werkstückes Arbeitslosigkeit. Manipulationswerkzeug. Die jetzige, die vor einer Stunde begann, das weiß ich auf jeden Fall zu sagen, ist de facto das Schlimmste, was mir je passiert ist. Justament erhole ich mich, die dreißig Minuten Frühstückspause nutzend, von einer Stunde Einführungsritual. Ich sitze im Café, weiß, dass ich zehn Minuten schon wieder in dem kleinen, stickigen Raum sein muss, in den ich mit dreißig Vollpfosten gepfercht, diesen Tag irgendwie überstehen sollte. Und noch schlimmer: die nächsten sechs Monate habe ich fünfunddreißig Stunden die Woche mit einem kollektiven Intellekt zu tun, der dem meiner zwölf-jährigen Tochter gleichkommt. Kollektiv, wohlgemerkt, also, in Summe! Keine zehn Minuten in diesem „Klassenraum“, der etwa zwanzig Quadratmeter misst, und es stinkt, dass mir übel wird. Um mich herum Bahnhofskiosk-Klientel allerfeinster Sorte. Es gaucht nach abgestandenem Alkohol, nach Wochen lang getragenen einst grauen, nun schwarzen Tennissocken, nach ranzigen Schweißflecken, es stinkt nach sterbenden Körperteilen und Verwesung. Als ich ein Brillenputztuch auspacke, um mir den Staub von den Gläsern zu wischen, sagt jemand WÖRTLICH: „Ih, hier stinkts nach Fensterputzmittel!“ Falsch, du Vollhonk, das ist es nicht. Und eigentlich müsste ich meinen hunderter Vorrat Citrus-Tücher auspacken, um die Luft hier im Ansatz nur neutralisieren zu können. Und was heißt hier „IH“ und „es STINKT nach Fensterputzmittel“? Diese Frage zu beantworten, braucht es keiner Professur. Die Aussage dagegen verrät die Herkunft und Gewohnheiten der mich umgebenden … ähm... Menschen. Die üblichen Kommentare, wie „die da oben“ und „die verarschen uns nach Strich und Faden“, „Hartz IV ist scheiße“, dass man jetzt noch im Bett liegen oder auf irgendeiner Schwarzmaloche stehen könne, dass doch die, die sich solchen Schwachsinn einfallen lassen, mal lieber selbst arbeiten gehen sollten und klar, das darf nicht fehlen: „wären wir nicht, wären die alle arbeitslos!“ Tja, ihr seids und euch wird’s immer geben, und nach euch die nächste Generation und die nächste denn „ändern kömmor doch ewieso nüscht!“ Nö, könnt ihr nicht, denn dazu gehört es, selbst zu denken und vom ewigen Nörgeln weg zu kommen, hin zu Aktionismus, was wiederum bedeutet, den versoffenen, faulen, faltigen Arsch zu heben und etwas anzupacken. Dazu gehört, sich nicht nach unten am Leid anderer zu orientieren und Verantwortung für die Misere nicht beim „Kanaken“, sondern da zu suchen, wo sie tatsächlich liegt, nämlich im System. Das aber ist zu weit oben, nicht greifbar für den Dummen und somit kein eindeutiges Feindbild, also runzeln wir die Stirn und verfallen in ein kollektives Brummeln, als in der Vorstellungsrunde der einunddreißig Antihelden plötzlich einer seine Ansage in gebrochenem Deutsch beginnt, sagt, dass er unserer Sprache noch nicht so mächtig ist, Kriegsflüchtling aus Aserbaidschan sei und alles versuche, sich hier zu integrieren und ordentlich mitzumachen. Ich spüre die Abneigung, höre förmlich die Gedanken, in denen braun Uniformierte durch nächtliche Straßen ziehen und „solche wie den da“ dahin schicken, wo sie hingehören: heim, oder ins KZ. Mit solchen Leuten unter einem Dach. Auf zwanzig Quadratmeter gesperrt. Beengt, jeweils zu dritt sitzend an Schulbänken, an denen normaler Weise zwei Kinder Platz finden! Und das die nächsten hundertzwanzig Tage. Ich empfinde das als Demütigung. Als Beleidigung meiner Person. Und die Krone der Erniedrigung folgt gleich. Uns sollen die beiden Gebäude des Trägers vorgestellt werden. Das bedeutet Rundgang. Ich muss los, in fünf Minuten ist die Pause zu Ende. Ich stürze meinen Kaffee herunter, bezahle direkt an der Kasse und eile in Richtung Euro-Schule. Mir ist nach Bummeln. So langsam wie möglich laufen, denn jede Minute die ich zu spät komme, ist eine Minute mehr in Freiheit. In nicht stinkender Freiheit. Belehrungen, Hausordnung, Schulordnung, EDV-Raum-Ordnung, Katastrophenplan und so weiter. All das könnte in fünfzehn Minuten erklärt und gegessen sein. All das dauert hier beinahe zwei Stunden. Ich kämpfe gegen die mich überkommende Müdigkeit. Die fehlende Luft, denn Fenster aufzumachen heißt, dass die Grauköppe alle zu frieren beginnen und lieber stinken als frieren, die fehlende Luft macht mich benommen. Da ist es fast schon eine Erlösung, als der angekündigte Rundgang begonnen wird. Geduldig warte ich, bis der letzte Honk den Raum verlassen hat, gehe ebenfalls nach draußen und reihe mich, das Schlusslicht bildend, ein. Widerwilliges Anhängsel einer Summe von stinkender Blödheit. Mit keinem dieser dreißig Leute würde ich auch nur ein Wort wechseln in der Realität. Keinen von denen würde ich auch nur ansehen da draußen. Und nun trotte ich denen hinterher und lasse mich vorführen. Zum Glück sind die Werkstätten für Holz, Metall, Bau und Floristik heute nicht besetzt. Die Blamage fällt, zumindest was diesen Gebäudekomplex angeht, zunächst aus. Nach einer halben Stunde sind wir fertig, „dürfen“ nun in die Mittagspause und uns in fünfundvierzig Minuten am Gebäudekomplex II, einen halben Kilometer von hier entfernt, wieder einfinden. Wie ich eben der letzte war, beim Verlassen des Raumes, bin ich nun der erste, der verschwindet. Heim. Duschen! Mir die Dummheit vom Leib waschen die mich seit sieben Uhr dreißig bedrohlich einhüllt wie das Pulver eines Feuerlöschers, das in jede Ritze kriecht. Einen Feuerlöscher, den irgendwer, sich einen Spaß zu machen, aus seiner Verankerung riss, um im Gebäude eine Vorstellung aus der Mischung eines New York Fire Fighter und Rambo zu geben. Ich stehe im Bad und denke an Szenen aus schlechten Hollywood Filmen, in denen Protagonisten nach einem Übergriff lange unter der reinigenden Brause stehen und vor Erschöpfung und Verzweiflung langsam Glaswand abwärts in Richtung Abfluss sinken, um dort zitternd zu verharren, die Hände vorm Gesicht. Scheiß Vergleich, sagst du? Vielleicht hast du Recht, aber was kann ich für meine Gedanken. Fünfzig Minuten später stehe ich an der Euro Schule II. Den Pulk des abgehängten Prekariats ignorierend, platziere ich mich einige Meter entfernt und überlege, wie ich der Erniedrigung, die nun folgt, entgehen kann. Mich vorführen zu lassen wie einst an den Pranger gestellte Kleinkriminelle habe ich weder Lust, noch sehe ich darin einen Sinn. Eher keimt der Gedanke, ob das überhaupt rechtens ist. Durch ein Schulgebäude geführt zu werden, von Klassenraum zu Klassenraum in denen Auszubildende Jugendliche ihren Unterricht abhalten, das sehe ich nicht ein. Ich zähle mich mich nicht zu der Sorte Arbeitsloser, die als schlechtes Beispiel und Abschreckung benutzt werden können, den jungen Leuten zu demonstrieren, wohin man gelangt, wenn man sich nicht in den Arbeitsmarkt integriert, dem Arbeitszwang folge leistet und sich für Macht, Markt und Kapital den Arsch aufreißt, um am Ende des Lebens auf dem Sterbebett zu bereuen, nichts für sich getan zu haben. Ich kann und will mich nicht mit denen identifizieren. Der Dozent erscheint und bezeichnet sich in seiner einleitenden Ansprache als Betreuer. Ein weiteres Mal offeriert sich die eigentliche Faktenlage. Zu betreuendes Schlachtvieh, das nun durch die Räume geführt wird, zur mahnenden Abschreckung. Ich beschließe, einfach vor der Tür sitzen zu bleiben. Die Anwesenheitsliste habe ich unterzeichnet. Förmlich bin/ war ich da. Doch soweit kommt es nicht. Der „Betreuer“ entlässt all diejenigen, die den Komplex bereits kennen. Kenne ich. War schon einige Male zu ähnlichen Maßnahmen hier. Erlöst. Für heute. In mein Buch notiere ich folgendes: Es ist eine ausgesprochene Demütigung und mit Sicherheit ein gewollter psychologischer Effekt, die Teilnahme an Maßnahmen zur angeblichen Integration in den ersten Arbeitsmarkt so unbehaglich wie nur möglich zu gestalten. Solche sind nicht nur erniedrigend, sondern in jeder Art und Weise inhuman. Es geht, das zeigt sich dem Denkenden nach wenigen Minuten, schlichtweg darum, Arbeitslosigkeit insofern zu bestrafen und unbequem zu machen, als dass ein Arbeitszwang auferlegt und die Nichtbeachtung des bestehenden Arbeitszwanges, dem sich der Arbeitslose entzieht, faktisch unter Maßregel zu stellen. Dies ist ein Verstoß gegen den Artikel 12 Abs. 2 des Grundgesetzes der wörtlich besagt: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ und Absatz 3 des selben Artikels: „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ Das Herumführen durch Gebäude und also Klassenräume der jeweiligen Träger, in welchen unter Anderem auch Azubis ihren Unterricht haben, ist ein Vorführen von blamablem Bestand. Dies kommt dem allseits bekannten Anprangern gleich, was seit dem dreizehnten Jahrhundert als Folterstrafe gilt. Hierin beweist sich erneut, dass Arbeitslosigkeit bestraft wird. Natürlich ist das als solches nicht deklariert sondern findet unter dem Vorwand statt, den Teilnehmern die Gebäude vorzustellen. Fakt aber ist, dass speziell bei dieser Maßnahme jener Gebäudeteil, durch den wir hier geführt werden sollten, absolut keine Relevanz hat. Ich bin mir sicher dass, wenn mein Bittgesuch, welches ich meiner so genannten Fallmanagerin noch am selben Tag zugesandt habe, abgelehnt wird und ich folglich nicht aus dieser Maßnahme entlassen werde, diesem Bericht noch einige folgen werden.

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